Der therapeutische Nutzen von Vogelgesang und Natur
- Zuzana Laubmann

- 20. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Mai
Studien bestätigen den Einfluss von Vogelgesang auf Stimmung, Atmung und Kognition

Vor allem im Mai lädt das fröhliche Vogelgezwitscher, nicht nur in der Natur, sondern auch in vielen Städten, zum Innehalten und Zuhören ein. Für Naturverbundene und Vogelliebhaber ist dies eine echte Konzertsaison. Schon in der Morgendämmerung bis in die frühen Morgenstunden hinein ertönt das Gezwitscher der Vögel.
Wer hätte gedacht, dass diese großartigen Wesen einen tiefgreifenden Einfluss auf unser vegetatives Nervensystem haben? Unser Nervensystem schaltet beim Eintauchen in ihren Gesang auf den sanften Rhythmus des Parasympathikus um. Eine Aktivierung des Parasympathischen Nervensystems (PNS) führt bei uns zu einer Reihe von physiologischen Veränderungen. Unser Herzschlag wird langsamer, unsere Muskeln lockern sich, und ein Gefühl von Balance breitet sich aus.
Diese umfassende Wandlung ist nicht zufällig, sondern eine evolutionäre Antwort. Vögel, genau wie wir, passen sich an ihre Umgebung an und singen nur, wenn diese sicher und gefahrlos ist. Deshalb sind die Melodien der Singvögel ein Zeichen für Frieden und Sicherheit, das unsere Urinstinkte anspricht und unserem Nervensystem signalisiert, sich zu entspannen und auszuruhen.
Im Jahr 2018 veröffentlichten Wissenschaftler des Kings College London eine Studie, in der die Effekte von Vogelgesang und Naturinteraktionen auf die menschliche Psyche erforscht wurden. Laut diese hat Vogelgesang nicht nur einen positiven Einfluss auf Ängste, Depressionen und das allgemeine Wohlbefinden, sondern fördert auch die Selbstregulierung und ermöglicht eine verbesserte Konzentration und Fokussierung.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben bewiesen, dass das Gezwitscher von Vögeln Ängste und irrationale Gedanken verringert. Obwohl der aufmunternde Effekt von Vogelgezwitscher auf die Stimmung bekannt ist, handelt es sich den Autoren zufolge um die erste Untersuchung, die einen Einfluss auf paranoide Zustände nachweist. Es spielte keine Rolle, ob der Vogelgesang von zwei oder mehreren Arten ausging. Nach Ansicht der Forscher lassen sich diese Effekte dadurch erklären, dass Vogelgezwitscher ein subtiler Hinweis auf eine intakte natürliche Umgebung ist und die Aufmerksamkeit von Stressfaktoren ablenkt, die ansonsten eine akute Bedrohung signalisieren könnten.
"Vogelgesang könnte auch zur Vorbeugung psychischer Störungen eingesetzt werden. Das Anhören einer Audio-CD wäre eine einfache, leicht zugängliche Intervention. Aber wenn wir solche Effekte schon in einem Online-Experiment mit Teilnehmern am Computer zeigen konnten, können wir davon ausgehen, dass sie draußen in der Natur noch stärker sind",
so Autor der Studie Emil Stobbe, Predoctoral Fellow an der Lise Meitner Group for Environmental Neuroscience am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Eine andere Studie deutet darauf hin, dass erreichbare Naturregionen eine bedeutende Ressource zur Verbesserung der psychischen Gesundheit sein könnten. (Hiroko Ochiai) Japanische Forscher berichten, dass bereits nach 20 Minuten im Wald oder Park der Cortisolwert im Körper sinkt, sich der Puls verlangsamt und der Blutdruck auf ein normales Niveau zurückkehrt. Aktiv wird stattdessen das vegetative Nervensystem, das für die Regeneration von Körper und Psyche zuständig ist. Es ist überall da möglich, wo Bäume stehen.
Eine weitere Studie aus Deutschland legt nahe, dass ein einstündiger Waldspaziergang die mit Stress verbundene Gehirnaktivität in der Amygdala verringert.
Bum-Yin Park, ein Forscher am Center for Environment, Health and Field Sciences der Universität Chiba in Japan, schreibt:
„Unsere Feldstudien haben gezeigt, dass die Kortisol-Konzentration bei den Probanden, die einer Waldumgebung ausgesetzt sind, deutlich niedriger ist als bei denen in einer städtischen Umgebung.“
Die Studien von Park et. al. zeigen auch, dass der präfrontale Cortex, dem kognitive Eigenschaften und das logische Denken zugeordnet sind, im Wald zur Ruhe kommt. Die Gehirnaktivität wird dabei in andere Areale verlagert, die der Mensch als ruhig empfindet. Auch Geruch, den Wald und Bäume ausströmen (Terpene) kann sich an diesen physiologischen Veränderungen beteiligen.
Die Botschaft der Studien ist eindeutig, die Umsetzung unkompliziert und die Ressourcen kostenfrei. Besser geht es kaum. Auch die Neurowissenschaftler (Stephen Porges, Stanley Rosenberg, Bessel van der Kolk, Babette Rotschild etc.) der letzten 30 Jahre erkannte die Rolle von spürbaren Sicherheit und die damit verbundenen Signale aus der Umgebung auf unseren Organismus. Sie nimmt an, dass das autonome Nervensystem (ANS) nicht nur für essentielle Körperfunktionen verantwortlich ist, sondern auch die Basis für soziale Interaktionen sowie für das Empfinden von Sicherheit und Unbehagen darstellt. Das Sicherheitsgefühl ist für die Entwicklung und den Erhalt von Beziehungen, die Regulation von Emotionen und die Stressbewältigung entscheidend.
Bei der Begleitung von Trauma, Belastungen, Unfälle und/oder stressbehaftete Ereignissen geht es insbesondere darum, neue, mit Gesundheit und Sicherheit assoziierbare Erfahrungen im Körper zu schaffen (Peter Levine). In den modernen Therapieansätzen wie Somatic Experiencing wird das Trauma körperlich, geistig und emotional neu verhandelt, bis es vollständig auf allen drei Ebenen integriert wird. Hierbei steht vor allem die Anbindung an das Gesunde im Vordergrund.
Vogelgesang und die gewachsene Natur, die auch in einer Stadt wie in Erlangen leicht zugänglich sind, können eine solche Verbindung zum Gesunden unterstützen und festigen. Alle Dinge, die unseren Atem spontan fließen lassen, natürliche Bewegung und unsere Sinne einbeziehen, können sich auf das vegetative Nervensystem wohltuend und regulierend auswirken, im gegensatz zu z.B. Atemübungen oder manche Sportaktivität, die bestimmte Vorgehen, bestimmte Form, Aussehen oder Erstreben und damit auch Leistungsdruck mit sich bringen.
Das Bestaunen und Belauschen der Natur hingegen ist individuell - ohne Vorgaben für Tempo, Blickwinkel und Ergebnis. Es schafft Freiraum und Luft für die Vorgänge in unserem Inneren, unsere innere Natur, die wir mit dem Bewusstsein nicht erreichen können. Der Gesang der Vögel sprüht einfach voller puren Freude und erreicht Höhen und Tiefen unserer Seelen, so wie es nur Natur und das Leben an sich erreichen kann.
Quellen:
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Birdsong and the Neural Regulation of Positive Emotion
PMCID: PMC9258629
Birdsongs Alleviate Anxiety and Paranoia in Healthy Participants
PMCID: PMC9561536 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9561536
Sudimac, S., Sale, V., & Kühn, S. (2022).
How nature nurtures: Amygdala activity decreases as the result of a one-hour walk in nature.
Molecular Psychiatry. Advance online publication.
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