Das Gipfelkreuz der Zugspitze und das Wahre Selbst
- Zuzana Laubmann

- vor 3 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag

Was haben das Wahre Selbst und das Gipfelkreuz der Zugspitze gemeinsam?
Erst vor 2 Wochen wurde das Gipfelkreuz der Zugspitze erneuert. Zu viele Aufkleben auf dem Kreuz aus den 90er Jahre waren der Grund. Die Aufkleber klebten zum Teil in 3 Schichten auf dem Kreuz, das Entfernen dauerte mehrere Tage. Eine Sachbeschädigung heißt es, Aufkleber auf dem Kreuz anzubringen. Es dauerte eine weitere Woche das Kreuz mit neuem Blattgold zu versehen und ihn damit wieder glänzend und beständig zu machen.
Die Last der Aufkleber erleben wir auch häufig bereits seit der Kindheit. Es fängt sehr harmlos an - mit "mein Hummelchen", der "Nein-Jonas", das "Schreikind" oder auch "was für ein braves Kind" und wächst dann zu immer größeren und umfangreicheren Aufklebern wie "so kenn ich Dich gar nicht", "sei nicht so (empfindlich)", "na wenn Du jetzt schon für die Schule so viel lernen musst, dann schaffst Du kein Studium" oder "kannst Du nicht was besseres anziehen, wenn wir ausgehen?" etc.
Jeder kennt auf eine Art und Weise diese erdrückende Sprüche und Bemerkungen anderer, die auf einem wie ungebetene "Aufkleber" lasten und den Glanz und die Einzigartigkeit und das schöne der eigenen Persönlichkeit verdecken und angreifen. Bald sieht man durch die Aufkleber nicht mehr viel davon, was im tiefen begraben ist.
Viele der Klienten haben dabei in den Sitzungen mit Eckel und Übelkeit zu tun. Warum ist es so? Ich glaube, dass es so ähnlich ist, wie wenn wir etwas schlechtes oder gar giftiges bzw, vergiftendes gegessen haben, ist unser Körper einzig daran interessiert, es loszuwerden. Eckel will abspalten, verschließen und nicht annehmen. Unser Körper und unser Nervensystem erkennt den Gift und das Verdorbene in diesen Sätzen und reagiert mit Eckel und Übelkeit. Das Gesunde in uns weiß, was zu tun ist. Aber warum passiert diese natürliche Ablehnung in unserem System nicht schon früher?
Wir bekommen die ersten Aufkleber bereits in der frühen Kindeheit. "Mein Kleiner Nimmersatt" oder "zeig es der Oma, wie toll du das schon kannst" - das erwünschte wird belohnt, über manches wird gelacht oder ins Lustige gezogen und einiges wird verniedlicht, geleugnet oder nicht gesehen werden: "so ist doch mein Kleiner nicht, so kenn ich dich gar nicht" usw. Beim Kind kommt entweder ein Beziehungsangebot oder Beziehungsentzug an, Belohnung oder Ablehnung, Scham, Schuld oder auch ein innerer Konflikt zwischen dem Eigenen und der Erwartung oder Vorstellung von Aussen. Je kleiner das Kind, desto eher entschdeidet es sich für das, was die Bindung fördert, auch wenn es zugleich heist, das Eigene wahre ich dafür "unter den Tisch" fallen zu lassen, unsichtbar machen.
Später im Leben bestimmen diese Aufkleber oft wie wir erscheinen und uns selbst zum Teil wahrnehmen. Viele meiner Klienten haben dabei das Gefühl, etwas wichtiges fehlt oder ging verloren. Auch hinter dem Gefühl "nicht richtig zu sein" kann das nicht vorhanden sein des Wahren und Richtigen stecken.
So wie die Restauratoren ein Aufkleber nach dem anderen vorsichtig abnahmen und sich durch die vielen Schichten durcharbeiten, so gehen wir auch in den Sitzungen vor, wissend, dass dadrunter etwas kostbares zu entdecken ist. Eine Glanzschicht, pures Gold, dass wieder strahlen kann. Manchmal braucht es Zeit, dem eigenen Raum zu geben und sich damit angenommen zu fühlen. Nicht selten kommt das altbekannte "ja aber", der eigene (Therapie-) Erfolg wird kleiner geredet.
In den Sitzungen unterbreche ich es, um das Ergebnis zu schützen, das Neue und Kostbare, woran sich der Klient erfreut.Meinst reagieren Menschen mit einer Verwirrung. Es ist ungewohnt, dass dieser Stimme Einhalt geboten wird. Und dann kommt etwas sehr wertvolles - sie fühlen sich ernst genommen und gesehen. Es wird wahrgenommen und darf da sein.
Ich finde, es ist eins der ehrlichsten Haltungen, die ich meinen Klienten gegenüber annehmen kann. Es ist immer vom großen Erfolg gekrönt.
Ich freue mich sehr über die Widerherstellung des Kreutzes und auch über die Anregung, sich mit Aufklebern und was sie bewirken, befassen zu können. Ich bin für diese Anregung und dieses Methapher sehr dankbar.


